Indiana – Katharina

Katharina

Ich habe ungefähr die Hälfte meines Auslandsaufenthaltes dafür gebraucht, zu verstehen, dass Amerika nicht schlechter ist als mein Zuhause, sondern einfach nur anders. Im August 2013 habe ich meine langersehnte Reise in die USA angetreten, mit (m)einem pinken Koffer (ich verdanke dieses Wunder den Packkünsten meines Papas) und einer riesigen Menge Nervosität, aber vor allem Aufregung im Gepäck.

Die ersten Wochen

Die ersten Wochen waren erst einmal sehr aufwühlend und überwältigend – sowohl positiv als auch negativ – doch packte mich das Heimweh sehr bald. Ich war so froh darüber, meine belgische Gastschwester zu haben, mit der ich meine Gedanken und Eindrücke teilen konnte. Die Amerikaner sind in ihrer Art so nett aber doch irgendwie recht oberflächlich; überall Fastfood Ketten und kein normales Brot, nur Toast; die Unmengen an Plastik und Plastiktüten in den Supermärkten…

Die Schule

Mit 3000 Schülern überforderte uns beide anfangs auch sehr. Der Vorteil der Größe war jedoch die Vielfältigkeit in den »after curriculum activities« (Clubs und Sportteams) und Unterrichtsfächern. So konnte ich neben Spanisch und Französisch zum Beispiel auch »Photography« ;und ;»Lifeguarding« belegen. Im Sommer zur Football Season waren wir bei fast allen Spielen und haben blau-bemalt unsere »Royals« angefeuert. Der Teamgeist und die entscheidende Rolle des Sports, die die riesige Schule vereint, war immer sehr deutlich spürbar und wirklich etwas Besonderes.

Für »Powder-Puff«, was im Herbst zum »Homecoming« dem Herbstball) stattfindet, habe ich mich sogar selbst einmal als Footballspielerin aufs Spielfeld begeben und wir haben bei dem »Senior vs. Junior game« die Juniors knapp besiegt.

Zuhause in meiner Gastfamilie gab es Zuwachs an Austauschschülern

Da meine Gastmutter neben der Leitung ihrer eigenen Kindertagesstätte auch Koordinatorin für eine der Partnerorganisationen von Stepin ist, haben wir für einige Wochen Ajit, einen blinden Jungen aus Indien, aufgenommen. Für Eva und mich aber auch unsere beiden amerikanischen Gastschwestern war diese Zeit zugegebenermaßen nicht sehr einfach.

Es gab sehr viele Auseinandersetzungen innerhalb unserer Gastfamilie. Meine Gastschwester Leigha zog zu ihrem leiblichen Vater und meine belgische Gastschwester wechselte im Herbst schließlich die Familie. Vor allem weil sich das alles in der Anfangszeit abspielte, in der das Heimweh sowieso noch am stärksten und die Eingewöhnungsphase noch nicht so wirklich vorüber ist, war es keine sehr einfache Zeit. Trotz alledem wusste ich, dass ich nicht aufgeben und meinen Traum von Amerika platzen lassen würde. Am Ende würde es das alles wert gewesen sein, davon war ich überzeugt.

Jetzt in meinem achten Monat hier kann ich das nur bestätigen. Ich will mein »Indy« kaum noch verlassen und kann mir nur schwer vorstellen, ohne meine Gasteltern Jen und Andy und meine Schwester Kindra zu sein. Auch wenn meine Gastschwester mich regelmäßig in den Wahnsinn treibt, sind es doch glaube ich die Beziehungen, für die man am meisten arbeiten muss, die Menschen, die einem besonders ans Herz wachsen. Wenn ich zurückblicke, sind es vor allem die positiven Erinnerung, die bleiben.

Ich hatte ein sehr großes Glück mit meiner Gastfamilie

Zu meiner Gastmama habe ich ein sehr gutes und offenes Verhältnis, genauso wie zu meinem Gastvater. Sie sind sehr darum bemüht, dass es mir gut geht und dass ich so viel wie möglich von meinem Auslandsjahr hier mitnehme und sind mit mir quer durch die Südoststaaten gereist.

Im Herbst waren wir mit dem Camper in Tennessee, in den Smokey Mountains. Es war für die drei und mich eine neue Erfahrung, da wir alle noch nie campen waren, aber es war wirklich aufregend. Auf einen Campingplatz gab es einen Karaoke Abend, wo wir nach langer Überzeugungsarbeit und ein paar Duos von Kindra und mir vorweg, zu viert American Pie gesungen haben.

Ein Wochenende im Spätsommer sind Jen, Kindra, Eva, Ajit und ich mit den Söhnen und dem Austauschschüler meiner Koordinatorin aus Tadschikistan nach Michigan zum campen mit den Pfadfindern gegangen, waren in den Michigan Dunes wandern, haben Ajit versucht das Schwimmen im Lake Michigan beizubringen und haben abends am Lagerfeuer gesungen und Geschichten erzählt. Am nächsten Tag sind wir dann auf dem Rückweg durch Gary, eine der eher unschönen und nicht ganz ungefährlichen Gegenden Indianas, zum Haus von Michael Jackson gefahren. Wir vier sind nur ganz schnell aus dem Auto gesprintet, während meine Gastmama aus dem Auto heraus das Foto gemacht hat.

Über »Thanksgiving« waren wir bei der Familie meiner Koordinatorin, wo das traditionelle Turkey-Essen stattfand. Besonders schön waren die Wochenenden, die wir am Lakehouse meiner »Gastgroßeltern« verbrachten, die mich sehr an meine eigenen lieben Großeltern erinnern und die mich liebevoll ihre »honorary granddaughter« nannten.

Der Herbst in Indiana war wirklich richtig schön und anlässlich des Geburtstages einer Freundin haben wir zu Halloween Kürbisse gepflückt und geschnitzt. Über »Memorial Day Weekend« waren wir mit ein paar anderen Austauschschülern unter anderem aus Tadschikistan, Russland, Japan, Indien (Ajit) und Belgien (Eva), der Familie meiner Koordinatorin und meiner Gastfamilie im Lakehouse, wo ich meinen zweiten Kulturschock erlebt habe, nachdem uns unsere japanische Freundin bei unserem »Never have I ever«-Spiel offenbarte, dass sie noch nie ihren Bruder umarmt habe.

Doch das ist das Interessante und der Grund, weshalb ich mich dazu entschieden habe, dieses Auslandsjahr zu machen: Es geht darum, Neues auszuprobieren und zu entdecken und die Andersartigkeit zu tolerieren und zu akzeptieren. Durch meine Gastmama habe ich gelernt, viel mehr einfach auszuprobieren (sie hat meinen Gastvater und mich sogar dazu bekommen, Alligator und Austern zu essen) und Dinge sofort zu tun und nicht auf später zu verschieben – being a »doer«.

So kam es, dass wir ganz spontan zum Beispiel an einem der (unzähligen) schnee-freien Tage im Winter einfach mal das Wohnzimmer grün gestrichen und zu einem weiteren Spielraum für die Daycarekids eingerichtet haben. Sie hat mir oft zu verstehen gegeben, dass sie als Gastfamilie auch sehr viel Neues von uns Austauschschülern lernen und mitnehmen, zum Beispiel das Recyceln, das ich in unserem Haushalt versucht habe einzuführen. Jen will dieses Jahr sogar anlässlich des Earth Day‘s einen Komposthaufen im Garten einrichten.

Um Weihnachten herum und danach wurde alles sehr viel entspannter und leichter. Über die Winterferien ist mein Gastvater mit mir und einer deutschen Freundin, die ich über den Austausch kennen gelernt habe, nach Chicago gefahren. Zu Weihnachten habe ich von ihm Karten für ein Footballspiel der Colts bekommen (Football spielen ist wesentlich spannender als Football gucken…).

Über »Springbreak« haben wir die zwölf Stunden Autofahrt auf uns genommen und sind mit dem Camper und unseren Fahrrädern im Gepäck nach Savannah, Georgia, dann weiter nach Orlando, Florida, nach Magic Kingdom und Epcot und schließlich nach Destin, an den Strand am Golf von Mexico gefahren.

Das zweite Schulhalbjahr

Auch das zweite Schulhalbjahr war wesentlich besser. Ich habe mich endlich an die Größe der Schule gewöhnt und die Freundschaften, die mir vorher immer nur relativ oberflächlich erschienen, wurden sehr viel enger. Die meisten Freunde habe ich wirklich nach der Schule im World Connections Club und im Film Production Club, denen ich beigetreten bin, gefunden. Da meine Gasteltern sehr viel mit mir an den Wochenenden unternehmen und daher Familienzeit und Zeit für Freunde gerade jetzt in den letzten Monaten echt knapp und umso bedeutender wurde, habe ich mich gegen das Tennisteam der Schule entschieden. Trainiert wird da jeden Tag direkt nach der Schule von 15-18 Uhr sowie samstags, was mir wirklich zu zeitintensiv geworden wäre. Dafür mache ich außerhalb der Schule Jazzdance in einer Tanzschule und Zumba im Fitnessstudio. Am Wochenende habe ich gelegentlich ehrenamtlich in einem Fair Trade Laden ausgeholfen.

In diesem Jahr habe ich auf jeden Fall eine ganze Menge Erfahrungen gesammelt, Freundschaften geschlossen und Menschen getroffen, die ich sonst nie kennen gelernt hätte, wenn mich nicht damals das Fernweh gepackt und die Lust ergriffen hätte, einmal etwas Neues, ganz Anderes zu sehen. Es war ein sehr besonderes Jahr mit vielen Höhen und Tiefen, die mir gezeigt haben, dass Aufgeben einfach nicht zur Auswahl steht und dass man manchmal wirklich kämpfen und für sich selbst (und andere) aufstehen muss, um etwas zu erreichen. Alles war seine Erfahrung wert. Am Glücklichsten bin ich über die Begegnung mit Ajit, dem indischen Austauschschüler, weil er für mich einer der inspirierendsten Menschen ist, die ich in meinem Leben bisher kennen gelernt habe, auch wenn es am Anfang nicht sehr leicht war.

Außerdem habe ich mein Zuhause in Deutschland viel mehr schätzen gelernt. Natürlich hat man gewisse Erwartungen von diesem ganz besonderen Jahr im Ausland, aber man sollte sich definitiv nicht zu sehr darauf versteifen, denn jedes Auslandsjahr ist einzigartig und es kommt sowieso ganz anders als geplant.