Die etwas andere Gastfamilie

Die etwas andere Gastfamilie

Als Austauschschüler hat man gewisse Vorstellungen: Die stereotypische Gastfamilie mit Mann, Frau, Kindern & Hund. Das ist aber nur selten der Fall.

Ich, Moritz, 15 Jahre alt, saß am 16. Januar 2018 an meinem Schreibtisch und vollendete gerade meine Hausaufgaben, als ich einen Anruf erhielt. Am Telefon war Herr Danz von Stepin, welcher mir einen Vorschlag für meine zukünftige Gastfamilie für mein Auslandsjahr in den USA machen wollte.

Als zukünftiger Austauschschüler hat man Vorstellungen, niemand kann das bestreiten. Die stereotypische Gastfamilie mit Mann und Frau, zwei Kindern, einem Hund und einem riesigen Haus. Dies ist aber nur sehr selten der Fall. Mein Vater und ich spaßten rum und spielten die unterschiedlichsten Szenarien mit den Gastfamilien durch.

Die ersten Informationen

Herr Danz las mir die Konstellation meiner Gastfamilie vor: Es war ein homosexuelles Paar im Herzen von Houston, offiziell die viertgrößte Stadt Amerikas, mit ungefähr 2,4 Millionen Einwohnern. Houston liegt in Texas, in der Nähe vom Golf von Mexiko und bekannt für die Gewinnung und Verarbeitung von Öl. Platziert würde ich im Stadtteil »Montrose«.

Montrose

Wenn man »Montrose« auf Wikipedia eingibt kommt als erstes eine Rockband, also musste Ich meine Sucheingabe zu »Montrose Houston« ändern und wurde fündig. Montrose wird im ersten Satz mit Gay Bars und Drag-Shows beworben, es ist ein ausgefallenes Viertel mit vielen kulturellen Angeboten und Parks. Außerdem bietet es Vintage-Läden, eine brandbreite vieler Restaurants, welche von kleinen malerischen Cafés bis zu mexikanischen »Cantinas« und mediterranen Bistros geht. Es ist die Heimat von Indie-Kunstgalerien.

Nun bin ich etwas ausgeschweift, aber ich möchte euch das richtige Bild meines Zuhauses auf Zeit (oder doch für immer?) geben. In dem Gespräch mit Herrn Danz wusste ich das ganze natürlich noch nicht, sondern erst nachdem ich die E-Mail mit dem Steckbrief der Familie bekommen habe.

Stephen, Kyle und Benji

Meine Gastfamilie bestand also aus Stephen und Kyle, die mit ihrer Hündin Benji zusammenleben. Kyle ist Anwalt bei einem Öl-Unternehmen in Houston. Bei Stephen war es ein bisschen schwieriger herauszufinden, was er beruflich macht. Er hat in Deutschland Musik studiert, hat 10 Jahre in Deutschland gelebt und spricht Deutsch. Darüber freuten sich meine Eltern, weil so die Kommunikation in Zukunft einfacher für sie ist. Als er zurück in die USA ging, fing er an, bei einer großen amerikanischen Fluggesellschaft zu arbeiten und hat dann Pädagogik studiert und ist Lehrer mit Dissertation. Als ich zu ihnen nach Houston kam, gab er Nachhilfe in Musik, Deutsch und Englisch. Aber bis ich den Wissensstand hatte, waren viele Gespräche nötig und die Offenheit, auch von mir zu erzählen. Erfahrungen zu tauschen und zusammenzuwachsen. Dies gelang bei uns sehr gut.

Weiter zum Steckbrief – Stephen und Kyle schrieben, dass sie sich das Haus vor Kurzem gekauft hatten und im »3rd Floor« extra ein Zimmer für ihren zukünftigen Austauschschüler gestaltet hatten. Ich sollte ihr erster sein – Stephen wollte schon immer jemanden die Möglichkeit geben, in einem weit entfernten Land zu lernen, weil es ihn sehr geprägt hat. Auch wenn er allein und nicht in einer Gastfamilie lebte.

Das Seehaus

In ihrem Brief schrieben die beiden, dass sie ein Seehaus besitzen und manchmal fürs Wochenende dorthin fahren. Als ich das las, musste ich erstmal tief durchatmen. Das Seehaus war außerhalb Houstons gelegen und war ein Traum. An meinem ersten Wochenende kam ich in den Genuss, dort Zeit zu verbringen – auch wenn ich einen Teil der Zeit mit Literaturhausaufgaben verbringen musste. Aber wie sagt man so gerne: »Erst die Arbeit und dann das Vergnügen«. Nachdem ich dann die Aufgaben fertig hatte, machte es umso mehr Spaß, über den See zu fahren und es einfach zu genießen.

In Stephen und Kyles Steckbrief war außerdem ein im Flugzeug aufgenommenes Selfie. Die beiden reisen sehr viel und hatten viele Geschichten von ihren Reisen zu erzählen. Nachdem ich Kontakt mit den beiden aufnahm, kamen wir auf die Idee, dass die beiden mich im Voraus schonmal besuchen könnten. Ich konnte es kaum glauben, weil ich noch nie davon gehört hatte, dass jemals ein Austauschschüler vor Beginn des Auslandsjahres von seiner Gastfamilie besucht wurde.

Treffen

Am 10. Mai 2019 war es dann soweit, die beiden kamen aus Houston nach Frankfurt am Main geflogen. Stephen war beruflich da, weswegen sie ein Hotel in Frankfurt hatten. Wir holten sie am Frankfurter Hauptbahnhof ab und fuhren zusammen mit der S-Bahn zu uns nach Hause. Am Anfang war ich etwas schüchtern, aber ich wusste dann, dass ich gut aufgehoben bin und mein Auslandsjahr unvergesslich sein wird.

Reisen

Im Verlauf meines Auslandsjahres haben Stephen und Kyle die Zeit genutzt, um mit mir Reisen zu unternehmen. Ich kam samstags nach der Orientation in New York bei den beiden an und wir fuhren zum Abendessen nach Galveston. Galveston liegt genau am Golf von Mexiko, ungefähr eine Dreiviertelstunde von Houston entfernt. Wir machten einen »Luftanhalte-Wettbewerb« als wir über die Brücke fuhren und verstanden uns schon am ersten Abend.

Das war also meine »etwas andere Gastfamilie«. Mein Auslandsjahr war nicht wie jedes andere und ich habe wunderbare Menschen kennen und schätzen gelernt.

Euer Moritz